Bundesgerichtshof zu Ansprüchen gegen die Anbieterin eines sozialen Netzwerks, die unter dem Vorwurf der „Hassrede“ Beiträge gelöscht und Konten gesperrt hat

Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle

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Nr. 149/2021 vom 29.07.2021

Bundesgerichtshof zu Ansprüchen gegen die Anbieterin eines sozialen
Netzwerks, die unter dem Vorwurf der „Hassrede“ Beiträge gelöscht und
Konten gesperrt hat

Urteile vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 und III ZR 192/20
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass
die Geschäftsbedingungen von Facebook vom 19. April 2018 zur Löschung
von Nutzerbeiträgen und Kontensperrung bei Verstößen gegen die in den
Bedingungen festgelegten Kommunikationsstandards unwirksam sind. Dies
gilt jedenfalls, weil sich die beklagte Anbieterin nicht gleichzeitig
dazu verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags
zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines
Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und
eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung
einzuräumen. Wurde aufgrund der unwirksamen Geschäftsbedingungen der
Beitrag eines Nutzers gelöscht und dessen Konto vorübergehend mit einer
Teilsperrung belegt, hat der Nutzer einen Anspruch auf Freischaltung des
gelöschten Beitrags und gegebenenfalls auch auf Unterlassung einer
erneuten Kontosperrung und Löschung des Beitrags bei dessen erneuter
Einstellung.
Der Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden
Teilsperrung der Facebook-Benutzerkonten der Kläger und der Löschung
ihrer Kommentare durch die Beklagte.
Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der
Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales
Netzwerk, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in
Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte – soweit für die
Revisionsverfahren noch von Bedeutung – auf Freischaltung der von ihnen
in dem Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten
Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und
Löschung ihrer Beiträge sowie – in einem der Revisionsverfahren – auf
Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes
Unternehmen in Anspruch.
Nach den Nutzungsbedingungen des Netzwerks in der seit dem 19. April
2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die „Gemeinschaftsstandards“
verstoßen werden. Diese verbieten eine – dort näher definierte –
„Hassrede“.
In dem Verfahren III ZR 179/20 stellte die Klägerin folgenden Beitrag ein:
„Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog.
Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von
islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu
machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben
eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten
können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert’s! Da würde
ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen.“
In dem Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger den Beitrag eines
Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit
Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu
werden, wie folgt:
„Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt …
keine Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE
WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER
AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN …
KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN.“
Die Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das
Verbot der „Hassrede“ verstießen. Sie sperrte vorübergehend die
Nutzerkonten, so dass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts
kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten. Mit
ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht
berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu
sperren.
Der Prozessverlauf
Im Verfahren III ZR 179/20 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das
Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin
zurückgewiesen.
Im Verfahren III ZR 192/20 hat das Landgericht die Beklagte dazu
verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des Textes:
„Was suchen diese Leute in unserem Rechtsstaat – kein Respekt – keine
Achtung unserer Gesetze – keine Achtung gegenüber Frauen. Die werden
sich hier nie integrieren und werden auf ewig dem Steuerzahler auf der
Tasche liegen.“
erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich der Beitrag auf
Personen bezieht, die sich der Anweisung einer Polizistin mit dem
Argument widersetzen, dass sie sich von einer Frau nichts sagen ließen.
Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat
keinen Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage
in vollem Umfang abgewiesen.
Mit den vom Oberlandesgericht – beschränkt – zugelassenen Revisionen
verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Freischaltung der gelöschten
Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Kontosperre und Löschung der
Beiträge sowie – im Verfahren III ZR 192/20 – auf Auskunft über ein mit
der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen weiter.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Berufungsurteile
teilweise aufgehoben und – im Verfahren III ZR 192/20 unter
Zurückweisung der Revision im Übrigen – die Beklagte verurteilt, die von
ihr gelöschten Beiträge der Kläger wieder freizuschalten. Darüber hinaus
hat er im Verfahren III ZR 179/20 die Beklagte verurteilt, es zu
unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrags erneut zu
sperren oder den Beitrag zu löschen.
Die Beklagte war nicht aufgrund ihrer Nutzungsbestimmungen und
Gemeinschaftsstandards zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung
ihrer Nutzerkonten berechtigt. Zwar wurden die geänderten
Nutzungsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19. April 2018
wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien dadurch einbezogen, dass
die Kläger auf die ihnen in Form eines Pop-up-Fensters zugegangene
Mitteilung der Beklagten über die beabsichtigte Änderung die
entsprechende, mit „Ich stimme zu“ bezeichnete Schaltfläche anklickten.
Die in den geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten eingeräumten
Vorbehalte betreffend die Entfernung von Nutzerbeiträgen und die
Sperrung von Nutzerkonten sind jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB
unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten
von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden.
Bei der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1
Satz 1 BGB ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der
wechselseitigen Interessen. Dabei sind vorliegend die kollidierenden
Grundrechte der Parteien – auf Seiten der Nutzer die
Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der
Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz
1 GG – zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so
in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst
weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung ergibt, dass die Beklagte
grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung
bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die
strafrechtlichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder
Volksverhetzung) hinausgehen. Sie darf sich das Recht vorbehalten, bei
Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das
betreffende Nutzerkonto zu sperren. Für einen interessengerechten
Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der
Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch
erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen
verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags
zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines
Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und
eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine
Neubescheidung anschließt.
Diesen Anforderungen werden die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in
den Geschäftsbedingungen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte war
daher nicht berechtigt, die Beiträge der Kläger zu löschen und ihre
Nutzerkonten zu sperren. Sie muss die Beiträge wiederherstellen und hat
eine Sperrung der Nutzerkonten und Löschung der Beiträge bei deren
erneuter Einstellung zu unterlassen. Der entsprechende
Unterlassungsantrag des Klägers scheiterte im Verfahren III ZR 192/20
indes an den Besonderheiten des dortigen Prozessverlaufs.
Vorinstanzen:
Verfahren III ZR 179/20:
LG Nürnberg-Fürth – Urteil vom 14. Oktober 2019 – 11 O 7080/18
OLG Nürnberg – Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 4039/19
und
Verfahren III ZR 192/20:
LG Regensburg – Urteil vom 27. August 2019 – 72 O 1943/18 KOIN
OLG Nürnberg – Urteil vom 4. August 2020 – 3 U 3641/19
Die maßgeblichen Vorschriften lauten
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu
äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu unterrichten.
Art 12 Abs. 1 GG
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und
Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz
oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
§ 307 Abs. 1 BGB
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn
sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung
kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und
verständlich ist.
Karlsruhe, den 29. Juli 2021
Pressestelle des Bundesgerichtshofs